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Überarbeitet am
23. Jul 2024
von David
Der 2021 verabschiedete Glücksspielstaatsvertrag steht vielfach in der Kritik. Timo Weber berichtete in seiner Kolumne auf GambleBase.com ausführlich über die Mängel des Glücksspielstaatsvertrags.
Wir haben die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder um eine Stellungnahme gebeten und zahlreiche Fragen an die Pressestelle geschickt. Zunächst hat uns die gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder zugesagt, zeitnah unsere Fragen zu beantworten. Die Zusage wurde leider wenige Tage später seitens der GGL widerrufen. Die GGL schrieb dazu: „Da uns derzeit sehr viele Presseanfragen erreichen, können wir auf nicht absehbare Zeit nur Anfragen von Pressemedien bearbeiten.“
Glücklicherweise ist es uns gelungen, einen hochkarätigen Gesprächspartner zu gewinnen.
Dr. Jörg Hofmann leitet das Glücksspielrechtsteam bei der Kanzlei Melchers und ist Past President der International Masters of Gaming Law. Seit der Mitte der 90er Jahre beschäftigt er sich intensiv mit dem Glücksspielrecht.
Rechtsanwalt Dr. Jörg Hofmann ist ein gefragter Redner und Moderator bei Glücksspielrechtskonferenzen, weltweit, zudem Autor und Co-Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Glücksspielrecht sowie Lehrbeauftragter an der Universität Heidelberg.
GambleBase:
Im Internet häufen sich die Berichte, dass nicht nur gegen illegale Casinos vorgegangen wird, sondern auch gegen Spieler direkt. Steigt der Druck auf Teilnehmer von illegalem Glücksspiel beziehungsweise müssen Spieler vermehrt mit Anzeigen wegen Beteiligung an unerlaubtem Glücksspiel nach §285 StGB rechnen?
Dr. Jörg Hofmann:
Zur ersten Frage: Ja, ich kann bestätigen, in letzter Zeit wird zunehmend berichtet, dass gegen Spieler wegen Teilnahme an illegalem Glücksspiel strafrechtlich ermittelt wird. Ich muss sagen, dass mich das ein wenig überrascht. Warum erst jetzt und nicht schon viel früher? Und warum jetzt offenbar doch häufiger? Das Strafgesetzbuch stellt ja nicht nur das Veranstalten von illegalem Glücksspiel unter Strafe, sondern auch die Teilnahme daran.
Als vor einigen Jahren die ersten Klagen von Spielern bei Gericht eingingen, die vortrugen, Gelder bei nicht lizenzierten Glücksspielangeboten verloren zu haben, hatte ich ursprünglich damit gerechnet, dass die Gerichte die Akten reihenweise an die Staatsanwaltschaft weiterreichen. Aber das ist in der Regel nicht geschehen. Inzwischen werden sogar massenhaft solche Spielerklagen bei den Zivilgerichten geführt. Trotzdem spielt die Frage der Strafbarkeit der Spieler in diesen Verfahren zumeist keine Rolle. Bei der Beschreibung ihrer Spielverluste, zum Beispiel in einem illegalen Online-Casino, erklären sie schließlich unmissverständlich, dass der sogenannte objektive Tatbestand der Teilnahme an illegalem Glücksspiel erfüllt ist. Normalerweise reicht das aus für strafrechtliche Ermittlungen. Ob der Spieler die Strafbarkeit kannte oder irrtümlich die Zulässigkeit des Angebotes angenommen hatte, beseitigt diesen Anfangsverdacht nicht. Das wäre im Rahmen der Ermittlungen zu klären. Also besteht schon ein Risiko.
Aber wir können nicht von einer Welle von Strafverfahren sprechen. Es sind immer noch eher einzelne Fälle, über die berichtet wird. Ich glaube, folgende Aspekte spielen dabei eine maßgebliche Rolle. Zum einen, über viele Jahre, bis heute, ist die europarechtliche Bewertung der deutschen Glücksspielregulierung rechtlich umstritten. Das mag im Hintergrund durchaus zu einer erheblichen Zurückhaltung geführt haben, vor allem im Zusammenhang mit strafrechtlicher Bewertung. Denken wir konkret an die Sportwette. Da hat der Europäische Gerichtshof 2016 in seiner Ince-Entscheidung unmissverständlich klargestellt, dass, vereinfacht gesagt, die deutschen Strafnormen wegen europarechtswidriger Regulierung nicht angewendet werden dürfen. In dem zugrundeliegenden Fall ging es um die Strafbarkeit der Vermittlung von Sportwetten an einen in Deutschland nicht lizenzierten Anbieter im Ausland.
Zum Zweiten frage ich danach, was die strafrechtlichen Ermittlungen auslöst. In den mir bekannten Fällen konnte man meistens davon ausgehen, dass diese durch Verdachtsmeldungen von Kreditinstituten veranlasst wurden, die bei Anschein illegaler Aktionen, vor allem in Richtung Geldwäsche, zu entsprechenden Meldungen an die Behörden verpflichtet sind. Dazu kommt es ganz schnell, wenn die Transaktionen als Zahlungen von nicht in Deutschland lizenzierten Online-Casinos erkannt werden. Solche Zahlungen gelten als geldwäscherelevante Vortat. Die Banken handeln nach dem Grundsatz: Melden macht frei. Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig. Ich glaube, dass das den Großteil der Fälle ausmacht. In Anführungszeichen normale Strafanzeigen mag es auch geben, mir persönlich sind allerdings bislang solche noch nicht begegnet. Gleichwohl kann man sie nicht ausschließen.
Was wir allerdings vermehrt erleben, sind Anfragen von Ermittlungsbehörden, die sich Unterstützung von den Glücksspielanbietern erhoffen in Fällen von Identitätsdiebstahl und Datenmissbrauch. Diese Ermittlungen betreffen aber nicht die eigene Teilnahme am Glücksspiel. Und drittens ist bekannt, dass das Bundesjustizministerium neben anderen Straftatbeständen die Paragrafen 284 und 285 aus dem Strafgesetzbuch streichen möchte. Ein entsprechender Vorschlag aus dem Bundesjustizministerium liegt uns bereits vor. Das bedeutet, die in diesen Vorschriften definierte Strafbarkeit der Veranstaltung von illegalem Glücksspiel, der Werbung dafür und der Teilnahme daran, sollen künftig nicht mehr als Straftat gelten. Auch daran zeigt sich, dass es zwischen Glücksspiel und dessen Abbildung im Strafrecht offenbar ein besonderes, komplexes Verhältnis gibt.
Sollte es zu einer Streichung beider Vorschriften kommen, wäre die Diskussion um die mögliche Strafbarkeit beendet. Das würde übrigens auch für alle noch nicht abgeschlossenen Strafverfahren gelten. Da die zum Zeitpunkt der Ahndung der Straftat bestehende Rechtslage maßgeblich ist, wären diese wegen dann fehlender Strafbarkeit einzustellen. Würde allerdings nur §285 gestrichen werden, der die Teilnahme betrifft, könnte diese trotzdem als Beihilfe zu illegalem Glücksspiel von den Staatsanwälten verfolgt werden. Um das zu verhindern, müsste man dann §284 um einen entsprechenden Ausschlusstatbestand ergänzen.
GambleBase:
In den Medien wurde es so dargestellt, dass die Bundesregierung eine Strafrechtsnovelle plant, die eine Streichung der Paragrafen 284 ff. StGB vorsieht. Wie ist hier der aktuelle Stand? Falls es tatsächlich zu einer Streichung der Paragrafen 284 ff. StGB kommt, könnte dies dazu führen, dass mehr Spieler bei den illegalen Spielangeboten bleiben beziehungsweise sich das Online-Glücksspiel noch mehr zu den illegalen Anbietern verlagert?
Dr. Jörg Hofmann:
Diese Diskussion ist sehr kontrovers und stark politisch verankert. Und sie ist noch nicht beendet. Nach Ansicht des Bundesjustizministeriums ist kein Rechtsgut erkennbar, das die Aufrechterhaltung dieser Strafvorschriften rechtfertigen würde. Entsprechende Verstöße könnten ja weiterhin als Ordnungswidrigkeit bestraft werden. Der Glückspielstaatsvertrag sieht hierfür Bußgelder vor bis zu 500.000 Euro. Das gilt allerdings nur für die Anbieter. Der Spieler hätte bei Streichung der Normen eine Strafbarkeit nicht mehr zu befürchten, auch keine Bußgelder. Ob eine Umsetzung dieses Vorhabens zu einem weiteren Schub von Spielern in den illegalen Markt führen könnte, hängt sehr davon ab, wie sehr sich Spieler überhaupt über die kriminelle Komponente Gedanken machen. Bislang eher weniger. Wer darauf vertrauen kann, seine Gewinne ausbezahlt zu bekommen, spielt gern dort, wo er das für ihn attraktivste Angebot findet. Das führt ihn oft in den nichtregulierten Markt. Spieler, die sich aus Furcht vor strafrechtlichen Risiken von Schwarzmarktangeboten bisher ferngehalten haben, dürften sich künftig auf diesem Weg, außerhalb des regulierten Marktes, allerdings sicherer fühlen.
Wir treffen hier im Grunde auf den zentralen Kern des Problems deutscher Glücksspielregulierung. All diese Fragen stellen sich doch ausschließlich im Umfeld verbotener Angebote. Warum? Weil es sie gibt und weil sie attraktiver sind. Die zahlreichen Beschränkungen des lizenzierten Marktes beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit der lizenzierten Anbieter. Sie können die Nachfrage der Spieler nicht hinreichend bedienen. Hier reden wir, um ein paar Beispiele zu nennen, über starre Einzahlungslimits, die Fünf-Sekunden-Walzendrehung beim Automaten, völlig unattraktive Boni und ein völlig verwahrlostes Wettprogramm. Diese Liste könnte ich noch eine ganze Weile weiterführen.
Über Strafbarkeit müsste ich allerdings nicht diskutieren, wenn der Anbieter lizenziert ist und der Spieler bei ihm spielt. Das ist der vom Gesetzgeber vorausgesetzte Normalfall. Die wohlmeinenden Gestalter der Gesetzgebung nehmen aber leider nicht wahr, dass der Spieler dort spielt, wo er das Angebot findet, das er sucht. Und das verwehrt ihm derzeit der Glücksspielstaatsvertrag in weitgehendem Umfang. Wenn aber die Regulierung seiner Ansprüche nicht deckt, findet man ihn nicht bei den Anbietern, die in Deutschland lizenziert sind. Der großartig gedachte Spielerschutz der deutschen Regulierung geht komplett ins Leere, da er die Spieler nicht erreicht. Zugleich gehen deren Umsätze an den lizenzierten Anbietern vorbei. Müßig zu erwähnen, dass hohe Steuerausfälle damit einhergehen. Das ist das Problem.
GambleBase:
Der legale Markt scheint für viele Spieler momentan nicht attraktiv zu sein. Sehr viele Spieler bemängeln beispielsweise oft die Fünf-Sekunden-Regel und das Ein-Euro-Einsatzlimit pro Runde und bleiben daher weiterhin im Schwarzmarkt. Gibt es inzwischen Bestrebungen, die Regularien zu verändern beziehungsweise das Spielangebot für die Spieler attraktiver zu gestalten, damit eine Kanalisierung in den legalen Markt stattfinden kann? Wer ist für solche Änderungen zuständig beziehungsweise wer könnte sie durchsetzen?
Dr. Jörg Hofmann:
Nun, wie ich schon gesagt habe, ein nicht attraktives Glücksspielangebot verfehlt den Markt. Der Spieler entscheidet, wo er spielen will. Die von Ihnen angesprochenen Beispiele sind repräsentativ. Sie legen den Finger exakt auf die Wunde. Wer ist nun zuständig?
Sagen wir mal so, an der Front ist die GGL, die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder. Die sitzt in Halle in Sachsen-Anhalt und ist noch relativ jung. Sie erlebt unmittelbar, wie Glücksspiel in Deutschland stattfindet, jedenfalls zu einem gewissen Teil. Die Behörde ist aber nicht der Gesetzgeber. Sie kann nur durch ihre Erfahrungen und ihr gewonnenes Know-how dazu beitragen, dass die Gesetzgebung ihre etwaigen, wie ich meine, allerdings zahlreichen Fehler überdenkt. Das passiert aber nur sehr eingeschränkt. Wir haben es hier nicht mit einer Bundesbehörde zu tun, die abschließende Entscheidungskompetenzen wahrnehmen kann. Die GGL steht vielmehr auf dem Fundament des Glücksspielstaatsvertrages. Da geht es um Landesrecht. Sie unterliegt damit der Kontrolle aller Bundesländer und die sagen, was zu tun ist.
In Kürze steht eine Evaluierung der ersten Erfahrungen unter dem Glücksspielstaatsvertrag an. Ich kann nur hoffen, dass die wahren Schwächen der Regulierungspraxis, die dafür sorgen, dass der Schwarzmarkt boomt, erkannt und beseitigt werden. Aus verschiedenen Gesprächen mit Vertretern der GGL weiß ich, dass man diese Probleme dort sehr ernst nimmt. Die Behörde hatte es anfangs nicht leicht, aber sie entwickelt mehr und mehr Kompetenz. Es gibt dann noch ein formales Thema. Für erhebliche Anpassungen der Regelungen im Glücksspielstaatsvertrag müssten die Ministerpräsidenten eine Neufassung beschließen und unterzeichnen. Das ist aufwendig. Die GGL kann aber eigene Spielräume nutzen, welche die Wettbewerbsfähigkeit des lizenzierten Marktes deutlich stärken könnten. Dazu müssen die Länder ihr die notwendige Autorität zubilligen. Nicht reinreden, sondern die GGL autarke Entscheidungen aus Überzeugung treffen lassen, ohne den länderpolitischen Vorstellungen gefallen zu müssen. Außerdem gibt es laufend Gespräche zwischen den Verbänden der Glücksspielindustrie und der GGL, inwieweit für die Spieler unverzichtbare Verbesserungen im Produktangebot möglich sind. Aber: Gut Ding will Weile haben.
GambleBase:
Der neue Glücksspielstaatsvertrag wurde 2021 verabschiedet. 2022 kamen dann die ersten Anbieter von virtuellen Automatenspielen auf den Markt. Wie ist die Stimmung unter den Anbietern im Jahr 2024?
Dr. Jörg Hofmann:
Die ist abhängig von Größe und Marktanteil, aber momentan ist sie nicht gut. Einzelne Anbieter denken sogar daran, sich aus dem deutschen Markt wieder zurückzuziehen. Ich werde oft auf Konferenzen im Ausland darauf angesprochen, was da in Deutschland abgeht. Man kennt uns als starke Wirtschaftsnation mit innovativer Industrie und kann überhaupt nicht nachvollziehen, wie der legale Glücksspielmarkt nahezu systematisch zerstört wird. Das erlaubte Wettprogramm bei Sportwetten ist so ein Beispiel. Viel zu lange schon steht die Entwicklung still, hier ein im europäischen Vergleich marktfähiges und attraktives Angebot zu definieren. Die Steuern sind ein Riesenproblem. Virtuelles Automatenspiel und Online-Poker haben bei der hohen Einsatzbesteuerung keine Chance im Wettbewerb mit Schwarzmarktanbietern. Wir haben zurzeit gerade mal für ganz Deutschland 39 Anbieter virtueller Automatenspiele auf der von der GGL geführten Whitelist. Das sagt alles.
GambleBase:
Vielen herzlichen Dank.
Dr. Jörg Hofmann:
Auch von meiner Seite herzlichen Dank. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht.
Das Interview als Podcast
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